Galileo Galilei -  Philosoph, Mathematiker, Physiker, Astronom (1564 - 1642)


Man kann einen Menschen nicht belehren.

Man kann ihm nur helfen, die Dinge selbst zu entdecken.


 

In der Schule lernen wir für's Leben  - oder ?

 

Wie beurteilt der bekannte Fernsehmoderator, Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar unser Schulsystem ?

 

Lesen Sie einen kurzen Ausschnitt aus seinem (auch sonst lesenswerten) Buch „Ach so !“, 2010 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, Kapitel 82:

 

Vermutlich haben auch Sie jahrelang die Schulbank gedrückt, vielleicht sogar studiert. Doch was ist davon „hängen geblieben“? … Wissen Sie noch, wann der Dreißigjährige Krieg endete, und wer da eigentlich gegen wen gekämpft hat? Erinnern Sie sich noch an die binomischen Formeln oder an die unregelmäßigen Verben im Französischen?

 

Wer in aller Ehrlichkeit Bilanz der eigenen Schulzeit zieht, merkt, dass vieles in Vergessenheit geraten ist. Trotz unzähliger Unterrichtsstunden in Physik, Biologie oder Geschichte verbleiben gerade einmal eine Handvoll Erinnerungen, und selbst mit elementaren Sachverhalten sind wir überfordert.

 

Dabei ist die Schulzeit eine gewaltige Zeitinvestition. Doch sie erweist sich oft als unnütz, wenn es darum geht, Gelerntes mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu verknüpfen. So büffeln Generationen von Schülern für die nächste Klausur und vergessen danach, worum es ging. Meines Erachtens liegt die Ursache dafür in einem falschen Selbstverständnis.

 

Noch immer ist unser Schulsystem zu sehr auf Leistung getrimmt: Die gute Note ist entscheidend, der gute Abschluss steht im Vordergrund, nicht jedoch die Beziehung zum Gelernten, etwa die Erfahrung, wie praktisch Mathematik im Alltag sein kann. Obwohl unzählige internationale Vergleichsuntersuchungen wie regelmäßige OECD-Studien oder TIMMS-Erhebungen diese Schwäche im deutschen Schulsystem aufdecken, ändert sich hierzulande nur wenig. Bildungsexperten fordern seit langem ein Umdenken. Statt einer übertriebenen Leistungsorientierung sollte die Lernorientierung im Mittelpunkt stehen.

 

Wer mit diesem Ansatz in eine Schulklasse geht, erlebt wahre Wunder. Junge Menschen besitzen nämlich eine bemerkenswerte Neugier und teilen eine intensive Freude am Lernen. Man muss sie nur dafür öffnen. Wer diese verborgene Kraft nutzt, wird mit einer ungewohnten Aufmerksamkeit belohnt. Aus dem oft stumpfsinnigen Büffeln wird ein ehrlicher Lernprozess, getrieben vom eigenen Interesse der Schüler.

 

Inzwischen setzen sich viele engagierte Lehrer für ein solches Umdenken ein, denn die veränderte Lernhaltung wirkt sich auch spürbar auf das Miteinander aus. Schüler beteiligen sich rege, überhören schon einmal den Pausengong, es gibt weniger Autoritätsprobleme.

 

Wer so lernt, vergisst weniger und weiß auch noch nach Jahren die Antwort …

 

Worauf also warten wir ?


Die Schulkatastrophe

 

In seinem Buch "Die Schulkatastrophe" sagt Kurt Singer sehr klar, wo es im gegenwärtigen System klemmt.

 

Lesen Sie hier eine kurze Zusammenfassung seiner Feststellungen und Forderungen:

 


Alle reden von PISA – und wer denkt an die Kinder?

Politiker scheinen an einer Lernstörung zu leiden: sie ordnen das Gegenteil von dem an, was pädagogische Erkenntnis nahe legt: Unzählige Schüler betreten das Schulhaus mit Angst, Lehrer lassen 250.000 Kinder durch­fallen und machen sie stündlich zu bewerteten Menschen: ausgefragt, getestet, zensiert.

 

Schüler werden durch kindferne Lehrpläne gelangweilt, mit Lernstoff überfüttert, durch frontalen Unterricht überfordert und allein gelassen, mit Ziffernnoten diszipliniert und ausgesondert.

Fehlt es Politikern, Lehrern und Eltern an moralischer Sensibilität ?

 

Das Buch ist ein Plädoyer für pädagogische Vernunft und Humanität im Unterricht. Der Lernerfolg der Schüler hängt von der Atmosphäre ab, die Lehrer schaffen: Gute Stimmung führt zu guter Leistung.

 

Engagierte Lehrerinnen und Lehrer respektieren, dass jedes Kind anders ist und individuelle Hilfe braucht. Bei ihnen lernen die Schüler in einem freundlichen Lernklima, sie dürfen mit Interesse dabei sein; denn Interesse ist die wichtigste Grundlage des Lernens.

 

Weil Eigenaktivität zur höchsten Lebensqualität von Kindern zählt, gilt Selbst-tätig-Sein als unumstößliches Lernprinzip; die Schüler erfahren täglich: „Das kann ich jetzt.“

Die Prüf­schule wird zur Lernschule, die Rede- und Zuhörschule zum Arbeitsunterricht.

 

Eine pädagogische Schule braucht nicht nur Leistungsstandards, sondern auch humane Standards: Kein Kind darf geängstigt, beleidigt, ausgelacht, überfordert, seelisch verletzt werden.

 

Menschenrechte sind auch Schülerrechte.

 

In einer demokratischen Schule wandelt sich das Bild des Lehrers vom Wissensvermittler zum Lehrer-Sein als helfendem Beruf. Nur wenn sich pädagogisch aufgeklärte Eltern, Lehrer und Schüler mit Zivilcourage politisch einmischen, kann Schule für alle Schüler zu einem freundlichen Lern-Ort werden, an dem kein Kind verloren geht.

 

Kurt Singer, Die Schulkatastrophe, Schüler brauchen Lernfreude statt Furcht, Zwang und Auslese

Beltz-Verlag Weinheim (2009)


Gerald Hüther - Neurowissenschaftler

 

Viele Kinder fallen durch die Erbsensortieranlage, die unsere Schule geworden ist. Nach wie vor wird Begabung mit einer guten Schulnote verwechselt, nach wie vor stellen wir analytisch-kognitiven Fähigkeiten in den Mittelpunkt.


Der eigentliche Schatz, den wir fördern müssten, ist die Begeisterung am eigenen Entdecken und Gestalten, das Tüftlertum, die Leidenschaft, sich mit etwas Bestimmten zu beschäftigen. Man müsste sich stärker von den Interessen der Schüler und weniger von kultusministeriellen Vorgaben leiten lassen. Wenn man als Jugendlicher spürt, was man alles entdecken und gestalten kann, wächst das Bedürfnis, noch mehr zu entdecken und zu gestalten.


Für das vergangene Jahrhundert war unser System sicher richtig, aber die Welt ist eben nicht mehr dieselbe. Ich glaube, dass es in sechs Jahren Schule, wie wir sie kennen, nicht mehr geben wird. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, Schüler durch ein System zu schleusen, wo sie genau das verlieren, was sie für ihre Zukunft dringend brauchen: Leidenschaft, Eigenverantwortung und Lust, die Welt gemeinsam zu gestalten.


Wer Arzt werden will, muss gut in Mathe sein, nicht in Mitgefühl. Die vorherrschende Auffassung von Begabung und 'Intelligenz' ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Eltern und Schulen tun zwar alles, um die Fähigkeiten unserer Kinder zu fördern. Doch weil unser Schul- und Bildungssystem immer noch fast ausschließlich auf Wissensvermittlung und Leistung setzt, bringen wir zwar Einserschüler und -studenten hervor, die dann im Berufsleben aber versagen.


Auf der Strecke bleiben viele ungenutzte und frustrierte Talente, und diesen Irrweg beschreiten wir schon viel zu lange.

 

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Manfred Spitzer - Neurowissenschaftler


Menschliche Gehirne sind zum Lernen gemacht. Das Gehirn kann gar nicht anders als zu lernen, das macht ihm die allergrößte Freude. Außer man versetzt es ins Koma, macht ihm Angst oder setzt es unter zu starken Druck. Angst ist Gift fürs Lernen.

Worum wir uns kümmern müssen ist, dass das Gehirn in einer guten Atmosphäre lernt, denn die Schüler müssen in 30 Jahren Probleme lösen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Da ist doch klar, was sie dabei nicht brauchen können: Angst. Wer unter Angst lernt, der lernt die Angst gleich mit, und das ist ganz dumm.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Schulen wieder akzeptierte Orte werden, wo Lebensvollzug stattfindet. Für viele Schüler ist Schule etwas, da geht man hin, schaltet ab, und erst wenn man draußen ist, geht das Leben wieder weiter.


Ulrich Weber - Personalvorstand Deutsche Bahn

 

Die Deutsche Bahn "pfeift" auf Schulnoten. Schulzeugnisse will man hier bei der Einstellung überhaupt nicht mehr sehen. Personalvorstand Ulrich Weber sagt über das Einstellungsverfahren mit jährlich mehr als 4000 Stellen für Auszubildende und Studierende:

 

Alle Bewerber werden ohne Vorauswahl dazu eingeladen. Das Hauptaugenmerk liegt damit eher auf den individuellen Fähigkeiten und Stärken der Bewerber und weniger an den Bewertungen ihrer ehemaligen Lehrer.

 

Nicht die Bestnoten, sondern soziale und kognitive Kompetenzen sind entscheidend für einen erfolgreichen Berufsweg. Pflichtbewusstsein oder technisches Verständnis zählen manchmal mehr als die eins oder die vier minus in Mathe.   (Quelle: Die Welt, 31.8.13, Für Arbeitgeber sind Schulnoten inzwischen egal)


Remo Largo - Kinderarzt und Entwicklungspsychologe

 

Zu Recht ist die gegliederte Schule umstritten. Sie ist widersinnig, weil sie nicht erreicht, was sie anstrebt, sondern Ungerechtigkeiten schafft. Mit der Dreigliedrigkeit versucht man den Gordischen Knoten der Vielfalt mit zwei Schwerthieben von Prüfungen und Noten zu lösen.


Welcher Schulart ein Schüler zugeteilt wird, ist jedoch oft Zufall. Denn die Trennlinien zwischen Gymnasium/Realschule sowie Realschule/Hauptschule sind in jenen Bereichen, in denen sich leistungsmäßig die meisten Schüler befinden. So bestimmt der Zufall für zahlreiche Schüler, ob sie sich links oder rechts von der Trennlinie wiederfinden.


Ungerecht sind Noten auch deshalb, weil sie vorgeben, dass eine präzise Messung schulischer Leistung möglich sei. In der Realität herrscht jedoch eine beträchtliche Willkür. Beispielsweise eine Prüfung in Mathematik wurde von 42 verschiedenen Lehrern mit Zensuren von 1 bis 5 bedacht - je nach Bewertung des Lösungsweges.


Wenn der Unterricht individualisiert wird, wird das bisherige Benotungssystem endgültig unbrauchbar und muss durch Beurteilungskriterien wie Kompetenzraster oder Portfolio ersetzt werden.


Kurt Singer - Erziehungswissenschaftler

 

Lernanregende Fragen beziehen sich auf das, was der Schüler wissen möchte, was er weiß oder zu wissen fähig ist. In vielen Unterrichtsstunden fragt aber der, der die Antwort bereits kennt: der Lehrer. Mit der Inflation von Lehrerfragen gehen Lehrer an der Urszene des Lernens vorbei, an der Schülerfrage. Wenn sich der Unterricht an Schülerfragen entzündet, wird er für die Kinder und für den Lehrer interessant.

 

Es gibt viele Gründe für Langeweile im Unterricht. Ein Hauptgrund ist der: Schüler dürfen sich zu wenig mit Themen auseinandersetzen, die sie herausfordern, Aufgaben, denen sie sich hingeben können, an denen es ihnen möglich ist, etwas von sich selbst zu verwirklichen.

 

Nicht nur für Kinder ist es zermürbend, uninteressanten Lehrstoff eingetrichtert zu bekommen. Es zermürbt auch den Lehrer, gegen die Interessenlosigkeit anzukämpfen. Eine apathisch vor ihnen sitzende Klasse strapaziert die Nervenkraft. Um die Schüler zu disziplinieren, brauchen Lehrer Energie, die dem Unterricht verloren geht. Der aufreibende Kampf gegen das Desinteresse hat Folgen: Lehrer fühlen sich müde und erschöpft, werden oft krank. Beide sind geschädigt: Lehrer, weil sie Schüler mit Macht für etwas motivieren sollen, was nicht in deren Interessenhorizont liegt: Schüler, weil sie zu Lernvorgängen gezwungen werden, die nicht ihren entwicklungsgemäßen Aktivitätswünschen entsprechen. Die Jugendlichen werden lernverdrossen, die Lehrer lehrverdrossen.

 

Eine Unterrichtsform, bei der Schüler ihre höchste Lebensqualität "Aktivität" erfahren, ist die Freiarbeit. Sie folgt dem Prinzip, Kindern dabei zu helfen, alles selbst zu tun, was sie selbst tun können. Freiarbeit ermöglicht es, alle Kinder zu aktivieren und auf ihrem unterschiedlichen Leistungsniveau zu fördern. Der Satz "Hilf mir, es selbst zu tun!" wurde zum Leitmotiv der Montessori-Pädagogik.


Andreas Stüwe - Vorsitzender EINE SCHULE FÜR ALLE und Konrektor an einem Sonderpädagogischen Förderzentrum in München

 

In keinem Industrieland ist der Bildungserfolg der SchülerInnen so abhängig von ihrer sozialen Herkunft wie in Deutschland. Viele verbleiben auf einem niedrigen Leistungsniveau, nur wenige erreichen hohe Bildungsabschlüsse. Ein enormes Potenzial ist unserer Gesellschaft so bereits verloren gegangen und Unternehmen beklagen den Mangel an Fachkräften. 

Eltern fliehen aus den öffentlichen Schulen der "Bildungsrepublik", private Schulen erleben einen beispiellosen Boom. Tiefgreifende Reformen des öffentlichen Schulwesens sind überfällig, um die Entfaltung möglichst aller Ressourcen einer alternden, im globalen Wettbewerb stehenden Gesellschaft zu ermöglichen.


Elsbeth Stern - Bildungswissenschaftlerin

 

Unsere Schule ist sehr stark leistungsorientiert, aber zu wenig lernorientiert. Leistungsorientierung heißt: Wie kriege ich meinen Abschluss mit guten Noten? Lernorientiert heißt: Habe ich die Mathematik wirklich verstanden?

 

Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass die begabteren Schüler am besten lernen, wenn sie nur unter ihresgleichen sind. Also diese Vorstellung, dass man für jeden Schüler den richtigen Platz hat, auf den er auf Dauer hingehört, die ist so absurd, die lässt sich überhaupt nicht rechtfertigen.

 

Sobald die Aufgaben, das hat PISA zutage gebracht, von dem üblichen Format in der Schule abweichen, können viele deutsche Schüler die Aufgabe nicht mehr lösen, denn ihr Lernen war immer nur auf eine bestimmte Anforderung in der Schule zugeschnitten.


Hans Brügelmann - Erziehungswissenschaftler

 

Das Notensystem erzwingt, dass es Verlierer gibt. Einige Schüler werden sogar derart verletzt, dass sie dauerhaft leiden. Aber auch viele der Leistungsstarken machen sich von Noten abhängig und der Inhalt verliert an Relevanz. Wir wollen doch eigentlich Schüler, die sich auch dann für Inhalte interessieren, wenn der Lehrer nicht mit Zuckerbrot und Peitsche daneben steht.

Wir sollten aus dem Gleichschritt ausbrechen und Räume eröffnen, damit Schüler ihre individuellen Interessen und Fähigkeiten entwickeln können. Das bedeutet: Es müssen nicht alle zur gleichen Zeit das Gleiche machen.


Gele Neubäcker - Vorsitzende GEW in Bayern

 

Einer Gruppe von britischen WissenschaftlerInnen um die Hirnforscherin Cathy Price ist der Nachweis gelungen, dass sich Intelligenz 'dynamisch' entwickelt und sich mindestens bis zur Pubertät verändern kann. Damit gibt es nun ein bahnbrechendes Argument aus der Neurowissenschaft gegen die Zuordnung 9- bis 10-jähriger Kinder zu Schularten, wie sie in dieser Form nur noch in Bayern praktiziert wird, also ein weiteres Argument für eine gemeinsame Schulzeit mindestens bis zum Ende der Pubertät.


Peter Hübner - Architekt

 

Lernlandschaften gelingen, wenn endlich die Erfahrungen und Erkenntnisse der Pädagogen und die Ergebnisse der Hirnforschung und anderer Wissenschaften Grundlage für architektonische Planung werden und nicht mehr die veralteten Schulbaurichtlinien. Es entstehen immer noch Schulen als Reihung starrer Klassenzimmer an langen Fluren. Die Architektur darf nicht stören. Denn wo man sich wohl fühlt, lernt man besser und leistet auch mehr. Und genau in dieser Reihenfolge.


Andreas Schleicher - PISA-Koordinator OECD

 

Die Frage ist, wie können wir Menschen mit der Motivation und der Fähigkeit ausstatten, sich selber ihren eigenen Lern- und Lebensweg zu gestalten, also autonom zu handeln. Das zeichnet die Wissensgesellschaft aus. Das Schlimmste, was wir im Bildungssystem machen können, ist Menschen ihre Perspektive zu nehmen. 

Die Selektivität des Schulsystems ist ein Indikator für Misstrauen. Die mangelnden Freiräume für Schule sind ein anderes Zeichen für Misstrauen. In Finnland hat man sich gesagt, wir werden den sich so rapide ändernden Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht, wenn wir das zentral regeln. Sie haben gesagt, die Verantwortung für die Ergebnisse liegt bei den Schulen. Im Ergebnis liegen in Finnland zwischen den Schulen nur etwa 7% der Leistungsunterschiede, in Deutschland aber 70% (Anm.: Spitzenreiter bei PISA = Finnland). Das heißt, man hat bei uns mit dieser Selektivität, mit den Kontrollmechanismen das Problem nicht in den Griff bekommen und wird es damit auch nicht in den Griff bekommen.

 

Die Herausforderung heißt:  Wie können wir Vertrauen an die Handelnden geben?


Angelika Speck-Hamdan - Professorin für Grundschulpädagogik

 

Kinder und Jugendliche sind mit dem Bedürfnis ausgestattet, die Welt und alles, was darin ist, zu verstehen, um darin erfolgreich handeln zu können. Nicht alle Gegenstände erschließen sich von selbst; die allermeisten bedürfen der Vermittlung. Dazu bedarf es der Kommunikation. Wer die Welt erfahren will, muss Fragen stellen und sich auf  Kommunikation einlassen.


Dies ist die wichtigste Aufgabe der Lehrenden: sie müssen die Kommunikation so gestalten, dass die Lernenden in ihren individuellen Lernprozessen unterstützt werden. Das Lernen können sie den Lernenden nicht abnehmen, sie können es jedoch anregen und dabei behilflich sein. Außerdem können sie die Kontexte, in denen Lernerfahrungen gesammelt werden, beeinflussen.


Eine positive Atmosphäre, in der Lernende sich ernst genommen fühlen und in der das Lernen Freude macht, wirkt mit Sicherheit stimulierend.


Gerald Hüther - Neurowissenschaftler

 

Wir brauchen heute nicht mehr Leute, die nur funktionieren, wie im Industriezeitalter, sondern Leute, die mitdenken und gestalten, und das geht mit der alten Abrichtungsschule nicht mehr.

 

Wir bilden uns ein, Bildung sei machbar - von außen. Aber hirntechnisch geht das nicht, weil Bildungsprozesse Selbstorganisationsprozesse sind. Die müssen sich in dem Kind abspielen, dazu braucht das Kind Gelegenheit, sich mit Dingen zu befassen. Da braucht es Zeit, dem Interesse nachzugehen. Wenn dann aber 45 Minuten das eine Fach unterrichtet wird und dann 45 Minuten das andere… Das kann so auf Dauer nicht gut gehen.

 

Wir müssen uns überlegen, was die Aufgabe von Schule wirklich sein soll. Es muss alles daran gemessen werden, ob es in Schulen gelingt, die Entdeckerfreude und Gestaltungslust unserer Kinder am Leben zu halten.


Klaus Wenzel - Präsident Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband

 

Wer Kinder im sensiblen Alter von zehn Jahren nach fragwürdigen Kriterien aus- und umsortiert, wer Kombiklassen mit nur einer Handvoll zusätzlicher Lehrerstunden ausstattet, hat von intensiver und individueller Förderung wenig Ahnung. Solange die Grundschulzeit unter dem Diktat der Auslese steht, können Reformen nicht wirklich greifen.


Zeugnisse sollten nicht überwertet und in ihrer jetzigen Form möglichst bald abgeschafft werden. Kinder werden krank, Eltern hysterisch, Lehrer verzweifeln an ihrem Beruf. Jedes Jahr wiederholt sich das gleiche Drama und nichts ändert sich. Zeugnisse sind Instrumentarien eines überholten Lern- und Leistungsbegriffes. Die in den Zeugnissen stehenden Ziffernnoten sagen nicht viel über den tatsächlichen Lernfortschritt Heranwachsender aus. Trotzdem entscheiden sie über Bildungsbiografien. Zeitgemäß wären stattdessen individualisierte Lern- und Förderpläne.


Margret Rasfeld - Schulleiterin Evangelische Gemeinschaftsschule Berlin Zentrum

 

Wir haben in der Bildung nicht nur ein quantitatives Problem (ca. 25 Prozent erreichen keine Ausbildungsreife), wir haben ein qualitatives Problem.


Kreativität lebt von Begeisterung, und Begeisterung entsteht in Freiräumen offenen Denkens, wenn nicht alles vorherbestimmt ist. Kreativität braucht Raum zum Scheitern ohne Beurteilung.

Stattdessen herrscht im Schulsystem die totale Orientierung auf Leistung mit ständiger Bewertung. Selbst wer im bestehenden System der vorrangigen Wissensvermittlung vermeintlich erfolgreich ist, wird dadurch in der vollen Entfaltung der in ihm schlummernden Potenziale gedeckelt statt zur Exzellenz gebracht.


Wenn der Schulalltag geprägt ist durch eine Hierarchie von Fächern, zerstückelt in Häppchen, wenn Konformität höher bewertet wird als Heterogenität und Fragmentierung statt Interdisziplinarität das Lernen bestimmt, wenn Lehrer den Unterricht vorherplanen mit Arbeitsblättern, deren Lösung im Lehrerhandbuch steht, dann folgt das dem heimlichen Lehrplan: "Tu das, was dir aufgetragen wird".


Dann werden Grundbedingungen für Innovation, nämlich Autonomie, Selbstdenken, Urteilskraft, Persönlichkeitsstärke, Mut, maximale Interdisziplinarität, nicht nur vernachlässigt, sondern sträflich unterlaufen. Denn so wird ein innovationsfeindlicher Erfüllergeist geprägt.


Eine Gesellschaft hat so viele Talente, wie sie finden will. Das Potenzial einer Gesellschaft ist das Ergebnis der Bereitschaft, die Potenziale, die in allen Menschen vorhanden sind, tatsächlich wahrzunehmen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu entfalten.


Das Bildungssystem in Deutschland organisiert dagegen das planmäßige Scheitern. Die frühe Selektion impliziert und stabilisiert den Defizitblick, auf den Lehrer in unserem derzeitigen System hin ausgebildet werden und ausgerichtet sind. Das Dilemma: Defizitorientierung und Potenzialentfaltungskultur sind zwei unvereinbare Haltungen.


Richard David Precht - Philosoph und Bestsellerautor

 

Die Anforderungen der zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt verlangen nach kreativen Problemlösern und nicht nach Köpfen, die wie Aktenordner mit totem Wissen gefüllt sind. Doch statt Kinder als individuelle Rennpferde zu behandeln, schulen wir sie zu geduldigen Postpferden, wie der Mathematiker und Managementberater Gunter Dueck anmahnt.

 

Kinder werden in Deutschland immer noch nach den gleichen Methoden unterrichtet wie vor 50 Jahren. Unsere Schulen bereiten nicht nur schlecht auf das Leben vor, sie zerstören sogar gezielt jene Potenziale an Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Kreativität, die später für ein erfülltes Leben gebraucht werden.

 

Ungezählte Bildungsreformen hat die Bundesrepublik bisher erlebt bis hin zu den jüngsten Verfehlungen des Bologna-Prozesses und zur flächendeckenden Abschaffung des 13. Schuljahres.

 

Das, was heute ansteht, ist keine neue Reform. Unsere Schulen müssen nicht reformiert werden. Sie müssen völlig anders werden als bisher. Wir brauchen andere Lehrer, andere Methoden und ein ganz anderes Zusammenleben in der Schule. Mit einem Wort: Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!

 

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Gerlald Hüther  - Schule produziert lustlose Pflichterfüller

 

Sehen Sie den Filmbeitrag vom 15.4. 2012 (15 Min.) hier.


Hartmut Teichmann - Diplom-Physiker, Dozent, Elternvertreter, Vater

 

Lehrer sind vom Schulsystem dazu verdonnert, die Schwachstellen ihrer Schüler zu suchen und rot anzustreichen.

 

Wäre es nicht viel schöner, wenn sie wie Schatzsucher die  verborgenen Talente der ihnen anvertrauten Schüler ans Licht bringen könnten ?

 

Ich wünsche mir, dass Schule die noch unerkannten Potentiale unserer Kinder entdeckt und nach Kräften fördert und entfaltet!